Interview mit Henrike von Platen: "Über Geld sprechen, so oft wie möglich!"
Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der Umsetzung von fairer Bezahlung unterstützt und für den Best Practice Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sorgt. Als Präsidentin der Business and Professional Women war sie viele Jahre Schirmherrin der deutschen Equal Pay Day Kampagne. Die mehrfach ausgezeichnete Hochschulrätin und Dozentin ist außerdem Autorin des Buches „Über Geld spricht man – Der schnelle Weg zur Gleichstellung“.
Im Zuge unserer Equal Pay Studie 2020 haben wir Frau von Platen ein paar Fragen gestellt.
In Ihrem aktuellen Buch „Über Geld spricht man“ geht es um Maßnahmen, mit denen Wirtschaft, Politik und einzelne Personen für mehr Lohngerechtigkeit sorgen können. Was sind erste Tipps, die Sie Beschäftigten für die Praxis mitgeben können, wenn sie sich hinsichtlich ihres Geschlechtes beim Gehalt diskriminiert fühlen?
Erstens: Über Geld sprechen, so oft wie möglich! Transparenz ist der erste und wichtigste Schritt zu fairer Bezahlung. Denn die Lohnlücke ist zwar statistisch sehr gut messbar, bleibt im Einzelfall aber oft unsichtbar.
Zweitens: Sich informieren. Auf Portalen wie Gehalt.de, Lohnspiegel, Entgeltatlas, Glassdoor oder kununu lässt sich ganz einfach herausfinden, wie hoch die Gehälter in bestimmten Branchen oder auch in einzelnen Unternehmen üblicherweise sind.
Drittens: Nachfragen. Ich rate dazu, das Gespräch mit Vorgesetzten oder der Personalabteilung zu suchen. Und zwar ohne sich gleich im ersten Schritt zu beschweren. Besser ist es, erst einmal ganz konkret nachzufragen: Weshalb bekomme ich eigentlich, was ich bekomme? Nach welchen Kriterien setzt sich mein Gehalt zusammen? Was müsste ich tun, wenn ich mehr verdienen möchte? Diese Fragen sollte jedes Unternehmen beantworten können.
Und dann gibt es natürlich auch den Auskunftsanspruch nach dem Entgelttransparenzgesetz. Je öfter der Anspruch genutzt wird, desto mehr müssen Unternehmen sich aktiv mit ihren Entgeltstrukturen auseinandersetzen - und über Geld sprechen!
Gibt es auch Tricks, um einer Benachteiligung direkt vorzubeugen?
Natürlich lässt sich schon im Einstellungsprozess nach den Gehaltsbestandteilen fragen. Aufschlussreich ist meist auch, sich anzusehen, wie transparent es in einem Unternehmen zugeht. Wo Gehälter intern oder extern transparent gemacht oder schon in der Stellenausschreibung Angaben über das Gehalt oder die Gehaltsspanne gemacht werden, geht es in aller Regel fair zu. Im Einstellungsprozess zeichnet sich meist schon ab, ob Gehälter nach Nase oder mit System verhandelt werden.
Neben der Bezahlung selbst gibt es aber noch eine ganze Reihe anderer Indikatoren, die darauf hinweisen, ob es in einem Unternehmen fair zugeht: Wie viele Frauen sind in Führungspositionen tätig? Ist Führung in Teilzeit möglich? Gehen Väter länger als zwei Monate in Elternzeit? Das alles kann eine Rolle bei der Entscheidung für oder gegen ein Unternehmen spielen.
Die unbereinigte Entgeltlücke beträgt laut dieser Studie aktuell rund 23 Prozent. Es gibt verschiedene Gründe dafür: Unter anderem arbeiten Frauen häufiger in Branchen, in denen die Gehälter traditionell niedrig sind und bekleiden seltener Führungspositionen. Warum ist das so? Muten sich Frauen weniger zu als Männer?
Die Frage ist vielmehr: Weshalb ist es uns eigentlich weniger wert, dass jemand sich um unsere Kinder kümmert oder unsere kranken Angehörigen pflegt, als unseren Computer oder unser Auto reparieren zu lassen?
Die Gehälter sinken über die Jahre sogar, sobald mehr Frauen einen bestimmten Beruf ausüben. Grundschullehrer und Sekretäre verdienten früher sehr gutes Geld. Inzwischen gibt es überwiegend Grundschullehrerinnen und Sekretärinnen, die vergleichsweise wenig verdienen.
Dass Frauen seltener in Führungspositionen zu finden sind, hat ebenfalls mit Wertschätzung zu tun – ihre Leistungen und ihre Forderungen werden anders bewertet als die von Männern. Männer gelten als durchsetzungsstark, Frauen als zickig. Die Klischees in unseren Köpfen sind äußerst wirkmächtig. Ganz abgesehen von den strukturellen Hürden, mit denen sich Frauen konfrontiert sehen, weil Kindererziehung und Familienarbeit nach wie vor als Frauensache gelten. Übrigens unabhängig davon, ob sie Kinder bekommen oder nicht – kinderlose Frauen werden genauso benachteiligt wie Mütter.
Vergleichen wir die Gehälter von Frauen und Männern, die unter denselben Voraussetzungen (Berufserfahrung, Ausbildung, Alter, Branche, Region und Anforderung an die Stelle) arbeiten, ergibt sich laut unserer Analyse immer noch ein Lohngefälle von rund sechs Prozent. Was sind Ihrer Meinung nach die ausschlaggebenden Gründe dafür?
Sechs Prozent sind das, was von der Lohnlücke übrig bleibt, sobald die Gründe für ungleiche Bezahlung herausgerechnet werden. Beispielsweise dass jemand pro Stunde für die gleiche Arbeit weniger bekommt, weil die Tätigkeit in Teilzeit und nicht in Vollzeit ausgeübt wird. Das ist zwar eine Erklärung, schafft die Ungerechtigkeit aber nicht aus der Welt.
Anders gesagt: Der unerklärbare Rest sind die Unterschiede in der Bezahlung, die sehr wahrscheinlich einzig und allein auf das Geschlecht zurückzuführen sind.
Welche Maßnahmen erwarten Sie von der Politik und auch von der Wirtschaft, um für mehr Lohngerechtigkeit zu sorgen? Hat das Entgelttransparenzgesetz in dieser Hinsicht geholfen?
Das deutsche Entgelttransparenzgesetz ist ein sehr guter erster Schritt – immerhin trägt es die Transparenz im Namen: Über Geld spricht man seitdem tatsächlich mehr in deutschen Unternehmen.
Island geht ein paar Schritte weiter: Hier müssen die Unternehmen belegen, dass sie gerecht bezahlen, anderenfalls drohen Strafzahlungen. So soll die Lohnlücke landesweit geschlossen werden. Das Ziel: 0 Prozent bis 2022.
Unternehmen können ihre Entgeltstrukturen aber auch ganz ohne Gesetz prüfen – Lohngerechtigkeit ist eine Frage der Haltung und vollkommen unabhängig von der Unternehmensgröße. Ob Start-up, mittelständisches Familienunternehmen oder Konzern, faire Bezahlung ist im Fachkräftemangel auch wirtschaftlich eine kluge Idee.
In Ihrem aktuellen Buch sprechen Sie sich stark für mehr Gehaltstransparenz aus – inwiefern kann das helfen, die Entgeltlücke zu schließen?
Wir können erst für faire Bezahlung sorgen, wenn wir wissen, worüber wir eigentlich sprechen. Viele Unternehmen gehen davon aus, dass bei ihnen alles mit rechten Dingen zugeht – haben ihre Zahlen aber nie überprüft und sind sehr erstaunt, wenn die Ergebnisse Schwarz auf Weiß vorliegen. Und die allermeisten gehen dann sofort in die Umsetzung.
Und dann ist Transparenz Definitionssache: Transparenz muss nicht heißen, sämtliche Gehaltszettel in der Kantine auszuhängen, sondern kann interne Informationen im Intranet oder klare Gehaltsbänder für alle meinen. Entscheidend ist, dass alle nach den gleichen Regeln spielen, die Regeln für alle gelten und jemand darauf achtet, dass sie eingehalten werden – wie beim Fußball.
Das heißt natürlich nicht, dass alle das Gleiche verdienen müssen. Gehaltsunterschiede werden sehr wohl akzeptiert – solange es dafür gute Gründe gibt.
Was machen Länder, in denen die Entgeltlücke geringer ist als in Deutschland, anders? Gibt es Arbeitsmodelle, die Sie sich auch für Deutschland wünschen würden?
Da gilt es genau hinzusehen: Länder wie Italien oder Malta haben zwar eine sehr kleine Lohnlücke, aber keineswegs Vorbildfunktion. Hier ist die Rollenaufteilung oft noch so traditionell, dass Frauen nach der Familiengründung ganz aufhören zu arbeiten und in keiner Arbeitsmarkstatistik mehr auftauchen.
Aber besonders die skandinavischen Länder gehen mit sehr gutem Beispiel voran: Vereinbarkeitsmaßnahmen, mehr Führung in Teilzeit, mehr Frauen in Führung, die Aufteilung der Elternzeit auf beide Elternteile oder auch die Abschaffung des Ehegattensplittings, das alles sind Maßnahmen, die viel bewirken.
Neben den Strafen, die Unternehmen in Island für ungerechte Bezahlung drohen, gibt es auch in Frankreich Strafen für Unternehmen, die sich nicht um Gleichstellung kümmern. Und auch in Großbritannien wurden Transparenzpflichten eingeführt, die viel in Bewegung gebracht haben.
Klare Vorgaben und spürbare Sanktionen bewirken extrem viel!
Denken Sie, dass sich der Gender Pay Gap irgendwann schließen wird? Und wenn ja, wann?
In Island bis 2022, davon ist auszugehen. Die Bundesregierung hat sich vorgenommen, die Lohnlücke bis 2030 auf 10 Prozent zu verkleinern. Entschieden zu langsam! Wenn alle es wollen, können wir Island noch einholen!