Gehaltscoach Karin Schwaer zur Gehaltsschere zwischen Fach- und Führungskräften
Bei GEHALT.de setzen wir uns dafür ein, mit dem Tabuthema Gehalt zu brechen, um somit für mehr Transparenz zu sorgen und eine faire, gleichberechtigte und marktgerechte Vergütung zu erreichen. Aktuell zeigen wir anhand von datenbasierten Auswertungen extreme Gehaltsgefälle in Deutschland auf. So haben wir uns im Rahmen dieses Themas zuletzt intensiv mit der Gehaltsschere zwischen Fachkräften und Führungskräften beschäftigt. Zu diesem Thema und den Fragen, ob und warum diese Unterschiede gerechtfertigt sind, haben wir mit Marion Weckes und Karin Schwaer gesprochen – zwei ausgesprochenen Expertinnen in Gehaltsfragen.
Karin Schwaer ist Wirtschaftsjuristin, Wirtschaftsmediatorin und Negotiator sowie Gründerin von GEHALTSSPRUNG für „Sie“! Als Führungskraft hat sie in der freien Wirtschaft lange auf beiden Seiten des Verhandlungstischs gesessen. Nun unterstützt sie mit ihrer Expertise qualifizierte und im Job erfolgreiche Menschen dabei, positiv gestimmt und bestens vorbereitet in die Gehaltsverhandlung, das Mitarbeitergespräch oder auch das Bewerbungsgespräch zu gehen. Ihre Coachings bietet sie ortsunabhängig und zeitlich flexibel per Video-Call an.
Liebe Frau Schwaer, welche Gründe rechtfertigen aus Ihrer Sicht, dass Führungskräfte ein Vielfaches dessen verdienen, was Fachkräfte erhalten?
Für diese Frage ist es vorab vielleicht notwendig zu klären, was Führungskräfte von Fachkräften unterscheidet. Unter einer Führungskraft verstehen wir im Allgemeinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Personalverantwortung. Unabhängig von anderen Aufgaben und Kompetenzen ist die Mitarbeiterführung somit ein wesentlicher Verantwortungsbereich einer Führungskraft.
Fachkräfte haben sich durch Ausbildung, Studium und/oder andere Qualifikationen eine Expertise erarbeitet. Diese Expertise hat einen mehr oder weniger verhandelbaren Marktwert. Doch dieser Marktwert lässt sich häufig (nur) durch Übernahme von Führungsverantwortung (deutlich) steigern. Das zeigen auch die von GEHALT.de erhobenen Daten.
Beim Aufstieg von der Fach- zur Führungskraft hängt die damit verbundene Gehaltsanpassung zum einen von den unternehmensspezifischen Vergütungsstrukturen ab. Zum anderen darf aber nicht unterschätzt werden, dass die Höhe auch häufig schlicht Verhandlungssache ist. Ob man als Führungskraft tatsächlich ein „Vielfaches“ mehr verdient, ist also auch abhängig von entsprechenden Verhandlungskompetenzen.
Doch was rechtfertigt nun, dass Führungskräfte für gewöhnlich deutlich mehr verdienen? Der Umgang mit dem Thema Führung ist wesentlich für den Unternehmenserfolg. Kaum eine Frage wird so intensiv und kontrovers diskutiert wie die, was gute Führung ausmacht.
Unbestritten ist dabei: Mitarbeiterführung ist eine Herausforderung – eine Herausforderung mit vielen positiven aber durchaus auch negativen Aspekten. Eine erfolgreiche Führungskraft muss motivieren, delegieren und gut kommunizieren können. Doch häufig sind auch mühsame Diskussionen zu führen und unliebsame Entscheidungen zu treffen.
Am Ende müssen die Ergebnisse stimmen. Führungskräfte müssen sich an ihrem Beitrag zum Unternehmenserfolg messen lassen. Und das rechtfertigt sicherlich auch eine höhere Vergütung.
Welche Gründe sprechen dagegen?
Meiner Ansicht nach könnte es künftig ein Problem werden, dass die ausschließlich fachliche Qualifikation vergütungstechnisch an Grenzen stößt. Mehr Geld zu verdienen, ist in traditionellen Vergütungsstrukturen verbunden mit dem Erklimmen der Karriereleiter, also einem Aufstieg im Organigramm. Möglicherweise ist das allerdings in vielen Unternehmen und Berufen nicht mehr zeitgemäß.
Wer sich Spezial- bzw. Expertenwissen angeeignet hat, ist als Fachkraft häufig nur schwer zu ersetzen. In vielen Branchen zeichnet sich bereits deutlich ein Fachkräftemangel ab. Nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage kann das auch zu höheren Gehältern führen.
Auch kann es nicht immer im Unternehmensinteresse sein, qualifizierte Fachkräfte zu Führungskräften zu machen, damit die Vergütung stimmt. Das ist in vielen Fällen sogar kontraproduktiv. Hinzu kommt, dass die klassischen Silos in Unternehmen immer weniger funktionieren. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit von verschiedenen Teams wird wichtiger. Immer wieder wird auch darüber diskutiert, dass klassische Hierarchien künftig nicht mehr in der Form benötigt werden, wie es in der Vergangenheit der Fall war.
Meiner Ansicht nach befinden wir uns da gerade in einem sehr spannenden Prozess. Die Arbeitswelt befindet sich definitiv im Wandel. Wohin die Reise genau gehen wird, wird sich zeigen.
Haben Führungskräfte ein höheres Karriererisiko, also zum Beispiel Jobverlust, Burn-out, Inkompatibilität, und rechtfertigt das ein höheres Gehalt?
Ich finde es sehr schwierig, hier eine Verallgemeinerung für alle Führungskräfte zu treffen. Doch Fakt ist wohl, dass die oben genannten Entwicklungen auch mit vielen Unsicherheiten verbunden sind.
Führungskräfte sind maßgeblich daran beteiligt bzw. auch dafür verantwortlich, Veränderungsprozesse zielgerichtet zu gestalten. Veränderungen waren immer notwendig, doch die Geschwindigkeit, mit der diese angestoßen und umgesetzt werden müssen, hat sich inzwischen deutlich erhöht. Hierin liegen Chancen aber auch Risiken – sowohl fürs Unternehmen als auch für die Mitarbeiter. Darin steckt naturgemäß auch viel Konfliktpotenzial.
Es bilden sich viele Fronten, die berücksichtigt werden wollen bzw. müssen. Hierbei nicht zwischen die Fronten zu geraten, ist sicher eine große Herausforderung, vor allem für die Führungskräfte.
Und niemand kann erwarten, dass sie dabei ihre eigenen Interessen völlig außer Acht lassen. Das rechtfertigt derzeit auch durchaus (deutlich) höhere Gehälter. Inwieweit allerdings der Einzelne über- oder unterbezahlt ist, ist nochmal eine ganz andere Frage.
Welche alternativen Vergütungsmodelle gibt es?
Derzeit ist unsere Arbeitswelt maßgeblich von der Formel „Zeit gegen Geld“ geprägt – zumindest in der Grundvergütung. Doch es gibt natürlich auch Möglichkeiten, diese Grundvergütung zu erhöhen bzw. die Vergütung deutlich flexibler zu gestalten. Prämien- und Bonussysteme oder auch Beteiligungen am Unternehmensergebnis können zum Beispiel Win-win-Modelle für Unternehmen und Mitarbeiter sein.
Außerdem sind viele Optionen zusätzlich zur Grundvergütung denkbar: Von betrieblicher Altersvorsorge, über die Übernahme von Kinderbetreuungskosten, bis hin zum Firmenwagen, um nur einige zu nennen, ist vieles verhandelbar. Und das sowohl für Führungs- als auch für Fachkräfte.
Welche positiven Effekte hat eine geringe Gehaltsschere zwischen Fach- und Führungskräften innerhalb einer Organisation?
Eine gute Frage. Zunächst ist festzuhalten, dass wir es in vielen Organisationen bzw. Unternehmen noch immer mit intransparenten Gehaltsstrukturen zu tun haben. Sprich: Es ist nicht bekannt, wer wie viel verdient. Und positive Effekte kann es wohl nur dann geben, wenn die Mitarbeiter von einem geringen Gehaltsunterschied zwischen Fach- und Führungskräften auch verlässlich wissen.
Das Thema Entgelttransparenz ist ebenfalls in den letzten Jahren immer wieder aufgegriffen worden. Vielfach taucht es auch im Zusammenhang mit dem Begriff New Work auf. Besonders in Start-ups war bzw. ist man bereit, mit diesem Thema zu experimentieren. Manchmal ist das mit der Abschaffung von Hierarchien verbunden und die Gehälter nähern sich so einander an. Man fühlt sich in selbstorganisierten und agilen Strukturen wohl und dazu gehört auch Transparenz. Einige Unternehmen haben es durchaus geschafft, ihr Employer Branding damit zu schärfen.
Prinzipiell ist es meiner Ansicht nach für Mitarbeiter sehr wichtig, sich fair und angemessen vergütet zu fühlen. Ob jedoch eine geringe Gehaltsschere zwischen Fach- und Führungskräften fair wäre, ist unternehmensabhängig. Jedes Unternehmen hat seine eigene Geschichte und unternehmensspezifische Strukturen. Doch wenn es gelingt, Mitarbeitern das Gefühl zu geben, dass die Gehaltsstrukturen fair und transparent gestaltet sind, kann das durchaus positive Effekte haben.
Das Führen von Gehaltsverhandlungen ist oftmals bei Mitarbeitern wie bei Führungskräften gleichermaßen unbeliebt. Für die Organisation als solche kann eine geringe Gehaltsschere zwischen Fach- und Führungskräften natürlich auch wirtschaftliche Vorteile haben. Vorausgesetzt man bleibt für Wunschmitarbeiter attraktiv, gibt es möglicherweise nicht zu vernachlässigende Einsparpotenziale bei Löhnen und Gehältern.
Gibt es auch negative Effekte?
Man kann sicher darüber streiten, ob intransparente Gehaltsstrukturen noch richtig und zeitgemäß sind. Doch es birgt ganz eigene und nicht zu unterschätzende Gefahren, das verändern zu wollen. Zumindest dann, wenn es sich um gewachsene Strukturen handelt und es einfach ein Teil der Unternehmenskultur (geworden) ist, dass über Geld nicht offen gesprochen wird.
Gerne wird argumentiert, dass transparente Gehälter zu Neid und Missgunst führen. Und Menschen, die am unteren Ende der Skala sind, doch davon bislang nichts wussten, werden quasi auf Knopfdruck demotiviert.
Außerdem sind in gewachsenen Strukturen Hierarchien nicht einfach abzuschaffen. Auch Vereinbarungen, die ohne den Fokus auf Fairness und Gerechtigkeit, aus welchen Gründen auch immer, mit einzelnen Mitarbeitern getroffen wurden, können nicht einfach als hinfällig deklariert werden. Das ist meiner Ansicht nach nicht von heute auf morgen zu korrigieren.
Dennoch ist es sicher eine gute Idee für Unternehmen, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob man zukünftig mit diesem Thema anders umgehen möchte bzw. sollte. Es geht dann nicht darum, die Vergangenheit zu korrigieren, sondern die Weichen für die Zukunft anders zu stellen.
Prinzipiell bin ich der Ansicht, dass mehr Verantwortung auch dazu führen muss, besser vergütet zu werden. Wer als Führungskraft einen guten Job macht, für den muss es sich auch auszahlen.
Gibt es noch etwas, was Sie ergänzen möchten?
Vielleicht noch ein kleines Fazit. Die Frage, die sich Unternehmen immer wieder stellen müssen, ist wohl folgende: Welche Art von Führung wird benötigt und was ist sie dem Unternehmen oder fürs Unternehmen wert?