So bremst Corona die Gehälter aus
Die Corona-Krise hat die Arbeitswelt in ihren Grundfesten erschüttert. Unternehmen müssen mit drastischen Einbußen rechnen, die sich unter anderem auf die Personalbudgets auswirken. Somit bleiben auch die Gehälter von den Folgen der Pandemie nicht verschont. Wie sich die Einkommen in Deutschland entwickeln und warum diese (eigentlich) nicht sinken können, erklären wir in diesem Beitrag.
Unsere Gehaltsexpert*innen haben einen Blick in die Glaskugel gewagt und prognostizieren die mögliche Lohnentwicklung für die Gesamtwirtschaft und acht Berufsgruppen. Dabei stützen sie ihre Annahmen auf die Gehaltsdatenbank von GEHALT.de mit rund 2,6 Millionen Datensätzen. Zudem wurden Faktoren wie Tarifabdeckung, mediale Präsenz und die benötigten Qualifikationen für den Beruf hinzugezogen. Auch die aktuellen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und Erfahrungswerte aus der Finanzkrise 2008 sind in die Prognose miteingeflossen.
Lohnsteigerungsraten von 1,6 Prozent in 2020
Für 2020 ist ein Großteil der Gehaltsverhandlungen, auch in Form von Tarifverträgen, schon abgeschlossen. Somit beobachten wir in der ersten Jahreshälfte beinahe reguläre Lohnsteigerungen. Firmen, die vor der Krise keine Gehaltsentscheidungen getroffen haben, werden sich im restlichen Jahr allerdings sehr vorsichtig verhalten.
Für das zweite Halbjahr 2020 rechnen wir daher mit deutlich niedrigeren Steigerungen. Für die Gesamtwirtschaft gehen unsere Expert*innen von einer Lohnsteigerungsrate von 1,6 Prozent aus – nicht so stark, wie zu Beginn des Jahres erwartet: Ende 2019 prognostizierten unsere Kolleg*innen von Compensation Partner noch 2,9 Prozent Wachstum für 2020.
Der richtige Einbruch kommt 2021
Deutlich wird der Einbruch in der Gehaltsentwicklung erst im kommenden Jahr 2021. Die Corona-Krise wird die Lohnentscheidungen über alle Branchen hinweg beeinflussen. Unsere Analyst*innen erwarten also schwächere Zuwächse von 0,3 Prozent für die Gesamtwirtschaft. Zum Vergleich: Zwischen 2009 und 2019 lag die Lohnsteigerungsrate laut Destatis noch bei durchschnittlich 2,57 Prozent.
Prozentuale Lohnsteigerungen für Gesamtwirtschaft (ab 2020 als Prognose)
2009-2019 | 2020 | 2021 | |
Durchschnittliche Lohnsteigerungsraten |
2,57 % | 1,60 % | 0,30 % |
Pflegekräfte können von Tarifen profitieren
Doch wie unterscheiden sich die Gehaltszuwächse für einzelne Berufsgruppen? Laut unserer Prognose sind die Chancen für das Pflegepersonal in Krankenhäusern und Seniorenheimen vergleichsweise gut. Unsere Expert*innen erwarten eine Lohnsteigerung von 3,1 Prozent für Kranken- und 2,6 Prozent für Altenpfleger*innen.
Hier spielt die Tarifbindung eine große Rolle: Knapp 50 Prozent der Patient*innen in Krankenhäusern werden mit öffentlichen Trägern behandelt. Daher wird die Gehaltsentwicklung hier stark von den Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst beeinflusst. Aufgrund der vielen Unikliniken gehen unsere Expert*innen davon aus, dass für die Krankenpflege der bereits beschlossene TV-L mit einer Lohnerhöhung von 3,12 Prozent gelten wird.
Pflegeheime werden gemäß der Heimplätze nur etwa zu sechs Prozent von öffentlichen Trägern verwaltet. Zehn Prozent der Beschäftigten werden hier nach Tarifvertrag bezahlt, weswegen sich die Tarifbeschlüsse nur minimal auf die Lohnsteigerungsraten in diesem Bereich auswirken werden.
Die Gehälter in Kranken- (39.700 Euro) und Altenpflege (33.800 Euro) lägen 2021 – trotz viel Applaus und Anerkennung in der Krise – damit nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Zum Vergleich: Fachkräfte in Deutschland verdienen jährlich rund 41.400 Euro.
Prognose für Steigerungsraten
Beruf | 2020 | 2021 |
Krankenpfleger*in | 3,1 % | 2,1 % |
Erzieher*in | 2 % | 1,2 % |
Altenpfleger*in | 2,6 % | 1,9 % |
Kassierer*in | 1,7 % | 0,7 % |
Prognose für absolute Gehälter
Beruf | 2020 | 2021 |
2022 |
Krankenpfleger*in | 38.554 € | 39.749 € | 40.584 € |
Erzieher*in | 36.325 € | 37.052 € | 37.496 € |
Altenpfleger*in | 32.932 € | 33.788 € | 34.430 € |
Kassierer*in | 27.318 € | 28.028 € | 28.224 € |
Gehaltsprognose für 2020 und 2021
In medialer Öffentlichkeit: Erzieher*innen
Erzieher*innen garantierten in Kindertagesstätten den Notbetrieb und erhielten hierfür viel medialen Zuspruch, was – wie auch in der Kranken- und Altenpflege – die Forderungen nach einer Gehaltssteigerung antrieb.
Eine hohe Tarifabdeckung steigert zusätzlich die Chancen auf eine flächendeckende Lohnsteigerung. Unsere Analyst*innen gehen hier von zwei Prozent aus, womit das Jahresgehalt 2021 bei rund 37.100 Euro liegen würde. In 2021 vermuten sie nur noch ein Plus von 1,2 Prozent – das Einkommen würde 2022 dann rund 37.500 Euro betragen.
Kassenpersonal: kein Vorteil trotz Systemrelevanz?
Doch nicht alle systemrelevanten Berufe werden die Krise für ihre Gehaltsentwicklung nutzen können. Diesen Fall beobachten wir vor allem in der Berufsgruppe der Kassierer*innen, die mit einem Lohnplus von circa 1,7 Prozent rechnen können. Grund hierfür sind hier unter anderem die niedrigen Ausbildungsanforderungen. Hier hängt die Höhe der Gehaltsteigerung auch davon ab, ob die Beschäftigten im systemrelevanten oder nicht-systemrelevanten Einzelhandel arbeiten.
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass nicht alle Berufsgruppen die Krise für sich und die allgemeine Gehaltsentwicklung nutzen können werden. Faktoren wie niedrigere Berufseintrittsbarrieren und Ausbildungsanforderungen sorgen auch für niedrigere Steigerungsprognosen unserer Analyst*innen.
Dr. Philip Bierbach, Geschäftsführer von Gehalt.de
Tourismuskaufleute: Stagnation in 2021
Aktuell stark betroffen ist die Tourismusindustrie – eine stark konjunkturabhängige Branche. Das monatelange Reiseverbot und die dadurch geschlossenen Reisebüros führten zur massiven Kurzarbeit in dieser Branche. Für die Löhne von Reisekaufleuten bedeutet das wahrscheinlich einen kompletten Ausfall der variablen Vergütung. Unsere Expert*innen rechnen für 2020 mit einem Lohnzuwachs von höchstens 0,9 Prozent. Für 2021 ist von einer Stagnation bei der Lohnsteigerung auszugehen.
Corona schwächt Automobilindustrie
Auch die Automobilindustrie wurde von der Corona-Krise erfasst. Nicht nur die stillgelegten Autowerke, auch der rückläufige Export von Neuwagen und die Entscheidung der Regierung gegen eine Kaufprämie haben die Branche hart getroffen. Für KFZ-Mechatroniker*innen prognostizieren unsere Gehaltsexpert*innen einen Lohnzuwachs von 1,3 Prozent. Somit beträgt das Jahresgehalt 32.900 Euro. Teilweise werden Gehälter auch durch den IG-Metall-Tarifvertrag geregelt: Zum Beispiel erhalten Arbeitnehmer*innen aus Bayern ab Juli 2020 2,6 Prozent mehr.
Softwareentwickler*innen profitieren vom Fachkräftemangel
Doch es gibt auch Branchen und Berufe, die der Krise standhalten und nach wie vor gefragt sind. Begehrt sind deutschlandweit vor allem Fachkräfte in der Softwareentwicklung. Wie jeder Beruf sind sie jedoch auch von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung betroffen, weswegen die Lohnsteigerung mit 1,7 Prozent geringer ausfällt als in einem Szenario ohne Krise. Trotzdem ist das prognostizierte Gesamtgehalt für 2021 (56.900 Euro) im Vergleich sehr lukrativ.
Gehälter im Marketing sind stark konjunkturabhängig
Der Beruf der Marketing-Manager*innen ist stark konjunkturabhängig, daher sind die Gehälter in diesem Bereich im Zuge der Krise stark betroffen. Die Analyst*innen gehen von einem Zuwachs von 1,1 Prozent aus (45.200 Euro).
Können Gehälter sinken?
Löhne steigen üblicherweise und stützen sich langfristig auf drei Komponenten: reales Wirtschaftswachstum, Inflation bzw. Inflationsausgleich sowie die Veränderung im Verhältnis zwischen Arbeits- und Kapitaleinkommen.
Da Gehaltssteigerungen stark von der Konjunktur abhängen, brechen sie in Krisenzeiten üblicherweise ein. Doch können sie in einer Rezession eigentlich nicht sinken, sondern höchstens stagnieren. Zum Vergleich: Während der Finanzkrise 2009 betrugen die Gehaltssteigerungen nur 0,2 Prozent.
Denn Gehaltserhöhungen sind das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Arbeitgeber*innen und Beschäftigten. Einer Lohnsenkung müssten Arbeitnehmer*innen in Form eines Vertrags zustimmen und dies ist kaum der Fall. Falls Unternehmen ihre Lohnkosten senken müssen, stehen ihnen also gewöhnlich die Mittel der Kurzarbeit oder der Kündigung zur Verfügung.
Gehälter stagnieren – Boni sinken
Allerdings können einmaligen erfolgsbasierenden Auszahlungen am Jahresende ausbleiben oder nicht in voller Höhe vergütet werden. So gesehen können Gehaltszahlen, die diese „Sonderzahlungen“ beinhalten, sinken. Im Falle der Pflegekräfte gibt es in der Corona-Krise jedoch eine Besonderheit: Nach einem Beschluss der Bundesregierung erhielten alle Beschäftigten der Altenpflege einen gestaffelten Anspruch auf eine einmalige Sonderzahlung von bis zu 1.500 Euro.
Einige der systemrelevanten Berufsgruppen werden ihre Interessen und Lohnsteigerungen durchsetzen können, während andere trotzt Systemrelevanz leer ausgehen werden. Vor allem die sozialen Berufe können gute Chancen auf Gehaltserhöhungen haben.
Dr. Philip Bierbach, Geschäftsführer von GEHALT.de
Fazit
Unsere Expert*innen gehen davon aus, dass vor allem Berufsgruppen mit hoher Tarifabdeckung, klar geregelten Ausbildungsanforderungen und starker Präsenz in der Berichterstattung den Schwung der Krise für Gehaltssteigerungen nutzen können. Diese werden im Vergleich zu anderen Berufsgruppen zwar stärker ausfallen, jedoch schwächer als in den vergangenen Jahren.
Berufe mit einer schwächer ausgeprägten Tarifabdeckung und niedrigen Ausbildungsanforderungen werden aufgrund ihrer Systemrelevanz zwar weiterhin gefragt sein, jedoch ihre Lohnsteigerungen geringer ausfallen. Beschäftigte, die hingegen nicht systemrelevant sind – wie beispielsweise Tourismuskaufleute – werden keine Lohnsteigerungen erhalten und müssen höchstwahrscheinlich mit einem kompletten Ausfall ihrer variablen Vergütung rechnen.
Die Corona-Krise hat die Wirtschaft stark getroffen und die vollen Auswirkungen werden sich erst noch zeigen. Die Politik kann nur versuchen mit Maßnahmen – wie zum Beispiel dem Konjunkturpaket – die Folgen für Unternehmen und Arbeitnehmer*innen abzumildern.
Mich persönlich stimmt es positiv, dass das umfassende Konjunkturpaket der Bundesregierung in Wirtschaft und Gesellschaft für viele positive Reaktionen gesorgt hat. Das macht Hoffnung.
Dr. Philip Bierbach, Geschäftsführer von Gehalt.de
Anmerkung: Bei den Gehaltsangaben handelt es sich um Bruttojahresgehälter im Median auf Basis einer 40 Stundenwoche und 28 Urlaubstagen – exklusive variabler Bestandteile wie Boni, Prämien, Tantiemen, Provisionen und möglicher Überstundenvergütung. Für die aktuellen Gehälter der acht Berufe wurden insgesamt 15.299 Datensätze erhoben.